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11.12.2021 Pflichtteilsrecht Teil 1

Pflichtteilsrecht:  Voraussetzungen, Inhalt und Umfang des Pflichtteilsanspruchs

Das Pflichtteilsrecht ist ein praktisch überaus bedeutender Teil des Erbrechts, aber auch eine der schwierigsten Materien dieses Rechtsgebiets, weshalb seine wichtigsten Aspekte in diesem und im nächsten Artikel kurz vorgestellt werden. Das Pflichtteilsrecht „garantiert“ eine finanzielle Mindestbeteiligung an einem Nachlass und schafft so einen „Kompromiss“ zwischen gesetzlicher Erbfolge einer- und gewillkürter (= vom Erblasser bestimmter) Erbfolge andererseits.

Ergebnis dieses Kompromisses ist ein Anspruch auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme gegen den / die Erben. Das heißt, der Pflichtteilsberechtigte ist nicht Erbe, insbesondere nicht Mitglied einer Erbengemeinschaft, und der Pflichtteilsanspruch ist eine Nachlassverbindlichkeit.

I. Voraussetzungen des Pflichtteilsanspruchs

a) Anspruchsberechtigte können sein die Abkömmlinge, die Eltern sowie der Ehegatte (oder Lebenspartner) des Erblassers; letzterer, sofern die Ehe zum Zeitpunkt des Erbfalls rechtsgültig bestanden hat. Nicht anspruchsberechtigt sind die Geschwister sowie Neffen und Nichten des Erblassers. Der Kreis der Pflichtteilsberechtigten ist also kleiner als der Kreis der gesetzlichen Erben.

b) Enterbung durch den Erblasser

Ein Pflichtteilsberechtigter muss durch den Erblasser von der Erbfolge ausgeschlossen worden sein, was durch ausdrückliche Enterbung oder durch die Einsetzung anderer Erben geschehen kann. Pflichtteilsberechtigt aus dem Kreis der unter a) Genannten ist also nur jemand, der OHNE Enterbung Erbe geworden wäre.

Außerdem gibt es kein Pflichtteil bei Ausschlagung einer Erbschaft (denn dann liegt ja keine Enterbung vor). Eine Ausnahme hiervon ist nur der Ehegatte im Güterstand der Zugewinngemeinschaft: dieser muss (sogar) die Erbschaft ausschlagen, um den familienrechtlichen Zugewinnausgleich zu erhalten, bekommt dann aber trotzdem auch den erbrechtlichen Pflichtteil.

c) Anspruchsverpflichtete, also Schuldner des Pflichtteilsberechtigten, sind die Erben, wobei Mitglieder einer Erbengemeinschaft als Gesamtschuldner haften, also jeder für den gesamten Allerdings besteht vor Auseinandersetzung der Gemeinschaft die Einrede des ungeteilten Nachlasses, d.h. die Haftung nur mit dem Anteil, den der Erbe am Nachlass hat. Nach Auseinandersetzung haftet jeder Miterbe auch mit seinem Eigenvermögen. Zudem hat der Erblasser Möglichkeiten, die Pflichtteilslast unter mehreren Erben zu verteilen.

II. Inhalt und Umfang des Pflichtteilsanspruchs

a) Der Pflichtteil ist ein Geldanspruch gegen die Erben. Er beläuft sich auf die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Festzustellen ist also

  • die gesetzliche Erbquote, d.h. die Quote, zu der ein Pflichtteilsberechtigter gesetzlicher Erbe sein würde, wenn er nicht enterbt worden wäre (Anteil am Nachlass bei Geltung der gesetzlichen Erbfolge)
  • der Wert, welchen der Nachlassteil des Pflichtteilsberechtigten bei Unterstellung der gesetzlichen Erbfolge hat - dessen Hälfte macht dann den Zahlungsanspruch aus.

Ermittelt werden müssen Bestand und Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls.

Die Feststellung der zum Nachlass gehörenden Gegenstände sowie der Werte derselben kann aber schwierig sein, da der Pflichtteilsberechtigte kein Erbe ist.

b) Zur Realisierung eines Pflichtteilanspruchs gibt das Gesetz aber mehrere Möglichkeiten, welche auch kombiniert werden können: der Pflichtteilsberechtigte kann verlangen, dass

  • Erben Auskunft über den Bestand des Nachlasses erteilen (Nachlassverzeichnis)
  • ein Nachlassverzeichnis durch einen Notar aufgenommen wird, der dafür eigene Ermittlungen anstellen muss und sich nicht auf Behauptungen des Erben verlassen darf
  • er selber bei der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses hinzugezogen wird, was ihm auch Gelegenheit verschafft, Belege einzusehen
  • der Wert einzelner Nachlassgegenstände durch Sachverständigengutachten ermittelt wird (Wertermittlungsanspruch).

Die Kosten für diese Maßnahmen trägt der Erbe als Pflichtteilsschuldner. Bestehen begründete Zweifel an der Richtigkeit einer Auskunft, kann vom Erben auch die Abgabe einer Eidesstattlichen Versicherung verlangt werden - deren Kosten trägt allerdings der Pflichtteilsberechtigte.

c) Die Bewertung des Nachlasses ist eine Wertermittlung bezüglich der realen Nachlassgegenstände zum Zeitpunkt des Erbfalls.

Unter „Wert“ eines Gegenstands wird der gemeine Wert als Verkaufswert verstanden (Marktpreis). Insbesondere für Grundstücke gibt es verschiedene Bewertungsverfahren, deren Wahl sich nach der Art der Liegenschaft richtet (bebaut oder unbebaut; gewerblich oder privat genutzt).

Darlegungs- und beweispflichtig für den Wert eines Nachlassgegenstands ist der Pflichtteilsberechtigte.


d) Sonderpunkte Anrechnung und Ausgleichung

Dies wäre ein eigener Artikel wert, weshalb hier nur einige Anmerkungen gemacht werden. Hinsichtlich der

aa) Anrechnung

Der Pflichtteilsberechtigte hat sich Vorempfänge unter der Voraussetzung anrechnen zu lassen, dass der Erblasser dies vor oder bei einer Zuwendung bestimmt hat - nachträgliche Anrechnungsbestimmungen, insbesondere durch Verfügung von Todes wegen, können dem Pflichtteilsberechtigten nicht entgegengehalten werden.

Eine Anrechnung erfolgt also zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten, d.h. sie verringert den Pflichtteil. Anrechnungsfähige Vorempfänge sind freigiebige Zuwendungen des Erblassers. Hierunter fallen Ausstattungen als Zuwendungen an ein Kind, Schenkungen sowie die Bezahlung von Schulden.

bb) Ausgleichung

Sog. Ausgleichungen sind unter Miterben vorzunehmen und somit auch gegenüber Pflichtteilsberechtigten. Eine Ausgleichung kann zum Vorteil oder Nachteil des letzteren geschehen, den Pflichtteil also vergrössern oder verringern. Eine Ausgleichungspflicht besteht nur unter Abkömmlingen, erfasst also nicht den Ehegatten des Erblassers.

Auszugleichende Positionen sind etwa vom Erblasser erbrachte Ausstattungen oder Aufwendungen für die Vorbildung zu einem Beruf, aber auch besondere Leistungen eines Abkömmlings für den Erblasser (Beispiel: Pflegeleistungen).

Der Erblasser kann anordnen, dass eine auszugleichende Position zusätzlich auf den Pflichtteil anzurechnen ist (Kombination aus Ausgleichung und Anrechnung), so dass hierdurch sogar eine Verringerung des Pflichtteils auf NULL möglich sein kann.