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30.07.2019 „Basenwasser“ als neuartiges Lebensmittel nach der Novel Food-Verordnung

„Basenwasser“ als neuartiges Lebensmittel nach der Novel Food-Verordnung

Das Lebensmittelrecht ist infolge biotechnologischer Entwicklungen in Fluss wie schon lange nicht mehr. Dies kommt jüngst in der Verordnung der EU 2283 aus dem Jahr 2015, der so genannten „Novel Food-Verordnung" zum Ausdruck.
Die Verordnung regelt ihrem Namen entsprechend den Umgang mit „Novel Food" bzw. in der deutschen Fassung mit „neuartigen Lebensmitteln".

Unter zwei Voraussetzungen ist eine Substanz als neuartiges Lebensmittel zu qualifizieren:
?  zum einen muss es sich um ein „Lebensmittel“ handeln, was im Abgrenzungsbereich etwa zu Arzneimitteln, aber auch zu Rauschmitteln (Cannabis-haltige Erzeugnisse!) mitunter fraglich sein kann. Lebensmitel im Sinne der Novel Food-Verordnung sind solche, die unter eine Liste von dort aufgeführten Kategorien fallen.
?  zum anderen darf das Lebensmittel bzw. Erzeugnis nicht bereits vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang in der EU als Lebensmittel in Verkehr gewesen sein, wobei die Beweislast allerdings dahingehend geht, dass ein Unternehmen, welches ein (neuartiges) Lebensmittel vertreiben will, den Nachweis erbringen muss, dass das Erzeugnis vor dem genannten Stichtag doch schon in „nennenswertem Umfang" in Verkehr gewesen ist. Sofern dies nicht gelingt, also die Anwendungsvoraussetzungen der Novel Food-Verordnung (Lebensmittel im Sinne der Katalogliste der Verordnung sowie fehlende Vorerfahrung mit der Substanz unter Anlegung des Stichtags 15.05.1997) erfüllt sind, muss die Substanz ein sowohl zeit- als auch kostenintensives Verfahren der Zulassung nach der Verordnung durchlaufen.

In einem Rechtsfall ging es um ein „Basenwasser", welches dem Namen entsprechend eine basische Flüssigkeit darstellte. Bei dieser handelte es sich allerdings nicht „nur“ um Wasser (H2O), vielmehr sollte der Begriff „Wasser" gerade die Qualität der Trinkbarkeit zum Ausdruck bringen. Genau genommen ging es um ein salzhaltiges Basen- bzw. Chlorwasser, welches als Getränk angeboten werden sollte. Noch profaner ausgedrückt handelte es sich letztendlich um schlichte Natronlauge (NaOH in H2O) mit Bestandteilen an Chlor, welche für den Vertrieb als Lebensmittel in Gestalt eines Getränks vorgesehen war, wobei „Verzehr in stark verdünnter Form“ empfohlen wurde.

Die Zulassungsbehörde stufte dieses Erzeugnis im Kontext des Lebensmittelrechts als „neuartiges Lebensmittel" ein und stellte in Aussicht, das Inverkehrbringen zu untersagen, sollte das Unternehmen keinen Nachweis führen können, dass das Erzeugnis bereits vor dem 15.05.1997 in nennenswertem Umfang in Verkehr gewesen war. Genau das wurde von dem Unternehmen damit zu begründen versucht, dass es sich zum einen bei der Substanz um Natronlauge handeln würde, welche als solche seit langem bekannt ist. Zum anderen fand die Herstellung des Endprodukts (Natriumhydroxid und Chlor) mittels Elektrolyse statt, die ebenfalls seit langem bekannt ist.

Dieser Argumentation wurde indes nicht gefolgt, da es für die Einstufung einer Substanz oder eines Erzeugnisses als Novel Food nicht auf den Herstellungsprozess (Elektrolyse) oder das Produkt (verdünnte Natronlauge) ankommt, sondern allein auf die neuartige Verwendung gerade als Lebensmittel, hier der mittels Elektrolyse hergestellten Natronlauge. Die Lebensmittelbehörde stellte also darauf ab, dass zwar Natronlauge und Elektrolyse für sich genommen schon seit langem bekannt (und bewährt) seien, hingegen keine ausreichenden Belege für eine Verwendung der Natronlauge als Lebensmittel für den menschlichen Verzehr vor dem 15.05.1997 vorlägen. Aufgrund der deshalb bestehenden Neuartigkeit sei eine Zulassung nach der Novel Food-Verordnung notwendig. Konkret wurde die Qualifizierung als Novel Food auf die Katalogliste der Verordnung gestützt, wobei hier die Qualifizierung als „neue Molekularstruktur" zur Anwendung kam - in Bezug auf Getränke, denn auch die Molekularstruktur der Natronlauge an sich ist ja nicht neu. Eine Verwendung verdünnter Natronlauge als Getränk (und Arzneimittel) ist zum Zeitpunkt dieses Falls übrigens nur aus Russland und Japan bekannt geworden.

Dem Gedankengang der Zulassungsstelle schloss sich das Oberverwaltungsgericht Saarlouis an, weshalb die Untersagung des Inverkehrbringens des „Basenwassers“ zu Recht erfolgte und zur Erreichung der Verkehrsfähigkeit auf eine vorab zu erwirkende Zulassung nach der Novel Food-Verordnung verwiesen wurde. Hilfsweise wurde dies auch auf die Erwägung gestützt, dass ein Lebensmittel, auch wenn es nicht „neuartig“ im Sinne der Verordnung sein sollte, selbstverständlich für den menschlichen Verzehr geeignet sein muss. Dieses allgemeine Kriterium wiederum ergibt sich aus der schon länger existierenden EG-Verordnung 178 aus dem Jahr 2002 (so genannte „Basis-Verordnung“) und ist erforderlich für die Sicherheit eines Lebensmittels. Eine Eignung zum menschlichen Verzehr wurde hier aber aufgrund des hohen pH-Wertes in Frage gestellt. Das wirtschaftliche Interesse des Unternehmens an einem möglichst raschen Verkauf des Erzeugnisses hatte demgegenüber zurückzutreten, zumal nicht dargelegt wurde, dass der Handel mit dem Basenkonzentrat den wesentlichen Teil seines Geschäfts ausmachen würde oder es als Folge der sofortigen Untersagung des Vertriebs in seiner Existenz bedroht sei. Andernfalls wäre eine aufschiebende Wirkung des vom Unternehmen eingelegten Rechtsmittels in Betracht gekommen.

Zusammengefasst war also die Novel Food-Verordnung einschlägig, d.h. das entsprechende Zulassungsverfahren durchzuführen. Hierzu sei als ergänzender Hinweis angebracht, dass eine Übersicht über die aktuell laufenden Zulassungsverfahren bei der Europäischen Kommission auf der Internetseite https://ec.europa.eu/food/safety/novel_food/authorisations/summary-applications-and-notifications_en abrufbar ist.